04.04.2013

Tolkien-Bildervergleich: Beardsley und andere Vorlagen

Es gibt zwei Aspekte, die ich an J.R.R Tolkiens Bildern zu seinen Romanen reizvoll finde.

Zum Einen ist da ihre Naivität, die besonders deutlich wird, wenn man sie mit den illusionistischen Illustrationen von heute vergleicht. Gegen die Bilder heutiger Illustratoren sind Tolkiens Zeichnungen im Grunde ästhetisches Rebellentum! Roh, unperfekt und trotzdem voller Verständnis für ihren Gegenstand.

Der zweiter Aspekt: Tolkiens Bilder sind ja erste Versuche eines Autors, die große Welt, die er erschaffen hat, in Bilder zu fassen. Aber dem offensichtlich ungeübten Illustrator Tolkien fehlten die künstlerischen Mittel, seine Bildvorstellungen umzusetzen. Darum griff er, wie ich vermute, auf sehr unterschiedliche Vorbilder zurück. Es ist reizvoll, diesen Vorbildern nach zu spüren.

Einige mögliche Vorbilder, die man in Tolkiens Bildern erkennen kann, stammen aus Illustrationen von Aubrey Beardsley, unter anderem zur King Arthur-Sage. Tolkien war ja Hochschullehrer für Literatur, insofern kann man davon ausgehen, dass er Beardsleys Bilder gekannt haben kann. Ein Beispiel:

In der Illustration zum Hobbit, die ich schon gepostet habe, begegnet man Beardsleys Art Feuer und Rauch zu zeichnen wieder.

 























Typisch für Bilder von Beardsley ist auch das Heraustreten der Bildgegenstände aus schwarzen Flächen und die stilisierende Darstellung von Wald und Bäumen.


























Im rechten Bild zu King Arthur ähnelt die bewegte Struktur der Baumrinde den Baumoberflächen auf Tolkiens Bild. 

Ein florales Ornament von Beardsley zu Henry Harlands Grey Roses findet man in Tolkiens Darstellung des Eingangs der Zwergenwelt Moria wieder.


Auch der Baum im Wappen des von Tolkien erfundenen Reiches Gondor (unten) scheint aus Beardsleys Zeichnung zu stammen.







Beardsleys Art Äste und Wurzeln zu zeichnen kehrt auch in einer Illustration zum kleinen Hobbit wieder (unten). Die Bäume stehen bei Tolkien zwar gerade, aber in ihren Ästen erkennt man den Schwung aus Beardsleys Vignette.




















Ich kann kein bestimmtes Bild Tolkiens auf eine ganz bestimmte Vorlage zurückführen, doch die ästhetischen Gemeinsamkeiten und Tolkiens ästhetische Verwurzelung im Jugendstil sind deutlich, wie ich finde.

Interessant und reizvoll aber ist, dass zu Tolkiens Einflüssen auch ganz andere Bildsorten gehören. Man kann das an einem anderen Bild zum Hobbit zeigen, an Beorns Haus (unten links). Die Vorlage dazu war sicherlich eine archäologische Rekonstruktionszeichnung wie die unten rechts.



Die Darstellung der Seestadt im Hobbit (unten) wiederum wirkt wie eine alte Stadt- oder Landschaftsansicht aus dem 17. oder 18. Jahrhundert mit detaillierten Szenen im Vordergrund, der Stadtansicht mit ihren Häusern und Türmen im zentralen Mittelgrund und den typischen Wattebauschwolken am Himmel.

Tolkiens Pfahlbauten stimmen übrigens perspektivisch nicht mit der Landschaft überein in der sie sich befinden. Hier zeigt sich wieder der Aspekt der naiven Malerei bzw. Zeichnung. Ob die Kolorierung übrigens von Tolkien stammt, weiß ich nicht. Seine Bilder kann man in diesem Buch gesammelt betrachten.

Die Mischung aus Jugendstilelementen (Beardsley), Sachillustration (archäologische Rekonstruktion), Ornamenten, naiver Malerei mit falscher Perspektive und einigen weiteren Quellen macht Tolkiens Illustrationen interessant. Offenbar hat er seine Motive nicht mit Blick auf eine immer gleiche dramatische Wirkung gestaltet, wie es heute bei Fantasyillustrationen üblich ist, sondern mit Blick auf den Inhalt der Darstellung: Eine unheimliche, atmosphärische Szene im Wald hat er vermutlich an den Jugendstil-Mystiker Beardsley angelehnt. Für die Darstellung eines Innenraumes, den er möglichst authentisch und quasi-wissenschaftlich genau zeigen wollte, wählte er meiner Meinung nach eine Rekonstruktionszeichnung als Vorbild. Und eine Stadtansicht zeichnete er bewusst oder unbewusst einfach genau so, wie man schon vor 200 Jahren Stadtansichten gezeichnet hat. 

Diese Vielfalt seiner Quellen, gemischt mit seiner natürlicherweise ungeübten, naiven Art zu zeichnen, macht seine Bilder für mich besonders reizvoll.

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